ELWERTscher
Familienverband e.V.

Nachruf auf Prof. Dr. Gerhard Elwert
Astrophysiker an der Universität Tübingen

 

Ein Wort des Gedenkens und des Dankes
an Prof. Dr. Gerhard Elwert,

der als Nachfolger von Oskar Elwert die Geschicke des Familienverbandes lenkte, die schön gestaltete und inhaltsreiche Familienchronik Nr.14 herausgab, bis Krankheit und Tod ihm die Feder aus der Hand nahm. Wir veröffentlichen einen Nachruf, der an anderer Stelle erschienen war.

                             Nachruf Gerhard Elwert   * 1912  † 1998     von Eberhard  Haug

Der Tübinger Astrophysiker Prof. Gerhard Elwert verstarb am 25. Juni 1998 im Alter von 86 Jahren. Elwert wurde am 15. Mai 1912 in Hohengehren bei Esslingen geboren. Nach dem Studium der Physik, Mathematik und Astronomie in Tübingen und München wurde er 1938 als einer der letzten Schüler von Geheimrat Arnold Sommerfeld mit einer Arbeit über die Röntgen-Bremsstrahlung promoviert. Verschiedene Teile seiner Dissertation, darunter der bekannte „Elwert-Faktor“, sind in den Band II von Sommerfelds berühmtem Werk „Atombau und Spektrallinien“ aufgenommen worden. 1939 legte Elwert die wissenschaftliche Prüfung für das Lehramt an Gymnasien ab und arbeitete dann während des Zweiten Weltkriegs bei Telefunken in Berlin an Problemen der Nieder- und Hochfrequenztechnik.

Nach Kriegsende kehrte Elwert nach Tübingen zurück und ging zunächst in den höheren Schuldienst, von wo ihn Heinrich Siedentopf im Jahr 1950 als Assistent an das Astronomische Institut der Universität Tübingen holte; dort habilitierte er sich 1953 mit der Arbeit „Die Strahlung der Sonnenkorona im Gebiet weicher Röntgenstrahlen und ihre Bedeutung für die Bildung der ionosphärischen E-Schicht“.

Bei seiner wissenschaftlichen Forschung wandte sich Elwert hauptsächlich Problemen aus dem Bereich der theoretischen Astrophysik zu.

Er beschäftigte sich mit der Synchrotronstrahlung relativistischer Elektronen in kosmischen Magnetfeldern, mit Fragen der damals immer mehr an Bedeutung gewinnenden Radioastronomie und mit der Himmelsmechanik der Milchstrasse und benachbarter Galaxien.

Aber vor allem mit seinen bahnbrechenden Arbeiten zur Theorie der Röntgen- und Ultraviolett-Strahlung der Sonnenkorona fand Gerhard Elwert weltweite Anerkennung, die ihm viele Einladungen an in- und ausländische Forschungsstätten einbrachte. Anfangs der fünfziger Jahre war besonders die Röntgenstrahlung der ungestörten Sonne

 von Interesse. Elwert berechnete sowohl die kontinuierliche als auch die Linienstrahlung eines heißen Plasmas von einigen Millionen Grad. Dazu benötigte er eine große Zahl atomphysikalischer Daten, und daraus entstanden seine Arbeiten über Ionisations- und Rekombinationsprozesse in einem Plasma, die bekannte Ionisationsformel der Sonnenkorona und die Entstehung der gelben Koronalinie. In den folgenden Jahren nahm die Zahl der Beobachtungen der solaren Röntgenstrahlung mit Hilfe von Ballonen, Raketen und Satelliten rasch zu, und so wurde es möglich, Vergleiche zwischen Theorie und Messungen anzustellen. Dabei wurden die theoretischen Vorhersagen Elwerts glänzend bestätigt. Die Beschäftigung mit der kurzwelligen Strahlung der Sonne führte zwangsläufig zu den solar-terrestrischen Beziehungen. So untersuchte Elwert den Einfluß der Röntgenstrahlung der Sonnenkorona auf die Bildung der ionosphärischen E-Schicht, was im Titel seiner Habilitationsschrift zum Ausdruck kommt.

Als Anerkennung für seine Forschungsarbeiten und aufgrund seiner pädagogischen Fähigkeiten, die er in zahlreichen Vorlesungen bewiesen hatte, wurde Gerhard Elwert 1968 auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Theoretische Astrophysik der Universität Tübingen berufen.

Neben der Theorie galt das besondere Interesse Elwerts auch deren experimentelle Prüfung. Auf seine Anregung hin wurden im Physikalischen Institut der Universität die ersten Koinzidenzmessungen zum Elementarprozess der Röntgen-Bremsstrahlung durchgeführt. Unter seiner aktiven Mitwirkung entwickelte eine Forschungsgruppe des Astronomischen Instituts Zonenplatten-Kameras zur Röntgenabbildung der Sonne, mit denen 1971 und 1972 bei Raketenaufstiegen von Sardinien und White Sands aus eine größere Zahl interessanter Röntgenaufnahmen gemacht wurden.

In den sechziger Jahren wurde eine Reihe von Satelliten zur Untersuchung der Röntgenstrahlung der Sonne eingesetzt, wodurch es ermöglicht wurde, die Sonne über lange Zeiträume hinweg zu beobachten. Daher konnten viele Messungen der harten Röntgenstrahlung, die bei solaren Flares ausgesandt wird, durchgeführt werden. Gerhard Elwert wandte sich nun der Erforschung der bei den Flares beschleunigten Elektronen und deren Ausbreitung im koronalen Plasma zu. Er wies als erster darauf hin, daß die von den nichtthermischen Elektronen erzeugte Röntgenstrahlung anisotrop und polarisiert sein müßte. Zur Messung der Anisotropie schlug er ein Experiment mit zwei Satelliten vor, von denen der eine um die Erde kreist, während der andere eine Bahn

um die Sonne beschreibt (Solar Polar Mission). Erst viel später wurde dieses Projekt in Form des Satelliten Ulysses verwirklicht, der im Oktober 1990 gestartet wurde und noch heute in Betrieb ist.

Daneben war Elwert in Zusammenarbeit mit amerikanischen Wissenschaftlern an der Auswertung von Messungen beteiligt, die während der bemannten Skylab-Missionen 1973 und 1974 gewonnen worden waren. Mit Wolter-Giacconi-Teleskopen waren Röntgenbilder der Sonne mit bis dahin unerreichter räumlicher Auflösung aufgenommen worden. Bei der Analyse dieser Bilder galt das wesentliche Interesse Elwerts den Magnetfeldern in der Sonnenatmosphäre, die bei der Deutung der solaren Aktivität und der Aufheizung der Korona eine Schlüsselrolle spielen. So wurde unter anderem ein umfangreiches Computer- Programm zur Berechnung dieser Felder aus der in Richtung des Sehstrahls gemessenen Komponente des photosphärischen Magnetfelds erstellt.

Auch nach seiner Emeritierung im Jahr 1980 war Gerhard Elwert weiter wissenschaft-

lich tätig. Er nahm als Guest Investigator an der Auswertung von Röntgenbildern der Sonne teil, die mit dem Hard X-Ray Imaging Spectrometer (HXIS) an Bord der Solar Maximum Mission (SMM) aufgenommen wurden. Daneben beschäftigte er sich mit der Beschleunigung von Plasma-Elektronen in einem elektrischen Feld. In den letzten Jahren ließ es sein Gesundheitszustand leider nicht mehr zu, daß er seine Forschungstätigkeit fortsetzte. Trotzdem nahm er bis zuletzt regen Anteil an den Arbeiten im Institut und ließ sich über die neuesten Ergebnisse auf dem Gebiet der Astrophysik berichten.

Gerhard Elwert fand seine letzte Ruhestätte im Grab seiner Eltern auf dem Tübinger Stadtfriedhof.

 

 

Gerhard Elwert - der Privatmann

 

Trotz seines elitären Berufes war Gerhard kein „Fachidiot“. Ihn interessierte die gesamte Natur, nicht nur die Astrophysik. Um sie hautnah zu erleben unternahm er, bis in die Zeit seiner schweren Erkrankung, ausgedehnte Wanderungen, mit Vorliebe in die Tübinger Umgebung, die Schwäbische Alb und den Schwarzwald. Lange Jahre, eigentlich bis zu Oskars Tod, war ihm sein Vetter dabei ein treuer Begleiter. Sie nahmen dabei das „Büble“ Kuno oft mit auf ihre Exkursionen

Aber auch auf vielen beruflich bedingten, wie privaten Auslandsreisen nahm Gerhard die Naturschönheiten in sich auf.

Ein großer Wunschtraum von Gerhard und Oskar blieb unerfüllt – die totale Sonnenfinsternis 1999 beobachten und erleben zu können.

Aber nicht nur die Naturverbundenheit gab Gerhard Lebensinhalt, auch große musische Begabung eignete ihm. Er konnte beachtlich zeichnen und malen und auch  basteln. So gab es ein selbstgebautes Theaterchen mit austauschbaren Kulissen, selbstgebastelten Figuren und  natürlich mit elektrischer Beleuchtung. Leicht konnte es einem nichtsahnenden Besucher passieren, daß er „examiniert“ wurde, aus welchem Schauspiel die dargestellte Szene stamme. Mühelos zitierte der „Theaterdirektor“ weite Strecken aus den verschiedensten Schauspielen und der klassischen Literatur. Die Verwunderung darüber legt sich schnell, wenn man von einem brennenden Jugendwunsch Gerhards weiß: er wollte Schauspieler werden. Textbücher interessierten ihn vor allem, so verbrachte er viel Zeit bei einem legendären Esslinger Buchhändler. Doch das strenge, pietistische Reglement des Vaterhauses erlaubte eine solch „sündige“ Karriere des einzigen „Bübles“ nicht.

Auch die Musik begeisterte und beglückte ihn, wie auch die bildenden Künste. Bloß bei der Malerei, da drang das Vaterhaus noch gelegentlich durch. So weigerte er sich standhaft, eine Toulouse-Lautrec -Ausstellung zu besuchen, weil dieser seine Modelle (auch) in fragwürdigen Etablissements gesucht und gefunden hatte.

Nicht wenige bezeichneten Gerhard als verschlossen und unnahbar. Wer aber den Schlüssel fand, stieß auf ein überaus warmherziges, geistreiches und witziges Gegenüber, das auch herzhaft lachen konnte. Auch den leiblichen Genüssen war er durchaus zugetan, fast konnte man ihn als Genußmenschen sehen. Wer einmal seine glitzernden Augen wahrnehmen konnte, wenn man mit ihm vor  einem opulenten Mahle saß, oder wenn man bei einem Besuch eine von ihm sehr geschätzte Torte mitbrachte, der konnte das bestätigen.

Seine Hilfsbereitschaft war groß, aber man erfuhr nur auf Umwegen davon. So ließ er z.B. notleidende Studenten kostenlos bei sich wohnen, Hungrigen wurde Essen gespendet und frierende Studentinnen konnte auf jeden Fall mit seinem Mitleid rechnen. Überhaupt war er wohl dem weiblichen Geschlechte zugetan, auch wenn er zeitlebens Hagestolz blieb. Spitzbübisch sagte er zu den Jahren, in denen er wegen der auch ihn erfassenden „Entnazifizierung“ Physik an einer Mädchenschule unterrichtete, die sei „seine schönste Zeit gewesen“. Es war wohl seine engherzige Erziehung, die ihn an einer endgültigen Lebensbindung hinderte; und weil halt menschliche Gefühle und Empfindungen nicht so glasklar zu berechnen sind wie z.B. Sonnenstrahlung.

Wer sich länger in seiner Nähe aufhalten konnte, empfand beglückt die große Zartheit, nein, Zärtlichkeit, die er einem entgegenbringen konnte. Niemals wäre er auch zu irgendeiner Intrige Kollegen gegenüber fähig gewesen. Er war ein Mensch reinen Herzens; und deshalb ist er einer unserer ganz Großen, nicht nur, weil er für seine Entdeckung der Röntgenstrahlen auf der Sonne für den Nobelpreis nominiert war und ihn beinahe bekommen hätte. Beinahe, – doch war er viel, viel zu bescheiden und niemals hätte er sich so „vermarkten“ können wie z.B. Wernher von Braun.

Wissenschaftler dieses Formats sind selten, noch seltener aber sind diese, die dabei so menschlich und uneitel bleiben, wie es unser verehrter Gerhard war.                        

Dorothee Elwert-Pillwein

 

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